Es hat sich bei der Gleichstellung von Frau und Mann in den letzten 6 Jahren etwas getan – wenn auch nicht viel und vor allem zu wenig. Das ergab der zweite Gleichstellungsbericht, der von der Bundesregierung vorgelegt und diesen Mittwoch vom Kabinett beschlossen wurde. Die Ergebnisse in Kürze: An der Lohnlücke zwischen Männern und Frauen hat sich kaum etwas geändert – der Gender Pay Gap beträgt nach wie vor 21%. Noch deutlicher die Unterschiede bei der Rente: 2015 bezogen Frauen in Deutschland eigenständige Rentenleistungen, die um 53 Prozent geringer waren als die der Männer. Dafür leisten Frauen eineinhalb Mal so viel unbezahlte Sorgearbeit (Kinderziehung, Pflege von Angehörigen, Hausarbeit) – ein tägliches Plus von 87 Minuten.

 

Seit Erscheinen des Berichts wird in den Medien und Sozialen Netzwerken über die möglichen Gründe heiß diskutiert, die Schuldigen sind meist schnell gefunden: die Cappuccino-Mütter (Spiegel-Online), Frauen, die die falschen Berufe wählen (FAZ), das System allgemein… Wer oder was ist denn nun wirklich schuld? Das fragen wir in unserem Interview MFF-Initiatorin Dr. Nadja Tschirner. Die Geschäftsführerin der Unternehmensberatung Cross Consult blickt neben einer Wissenschaftskarriere in der Geschlechterforschung auf eine langjährige Beratungstätigkeit im Bereich Frauen in Führung, Mixed Leadership, Talentmanagement und Organisationsentwicklung zurück.

 

Das Spiegel Online-Interview zum zweiten Gleichstellungsbericht titelt Cappuccino-Mütter sind eine Gefahr für die Gleichstellung“. Haben wir damit die Schuldigen gefunden?

Ich finde es völlig unpassend, Frauen, die sich für ein bestimmtes Lebensmodell entschieden haben, zu verurteilen. [In diesem Fall sind Frauen gemeint, die bei ihren Kindern zu Hause bleiben oder Teilzeit arbeiten und das als selbstgewähltes Lebensmodell verteidigen, anstatt „auf die Strukturen zu gucken, die dazu führen“ – A.d.R.] Die Frage ist ja nur warum sie sich so entscheiden. Arbeitszeiten und Präsenzforderungen der Unternehmen machen es nach wie vor schwer, Beruf und Familie zu vereinbaren. Vor allem wenn man gut ausgebildet auch noch den Wunsch hat, beruflich erfolgreich zu sein, muss man schon eine gehörige Portion Energie mitbringen und bereit sein, wenig Zeit mit den Kindern zu verbringen und überhaupt keine Zeit mehr für sich zu haben. Wenn dann noch die Organisation der Kinderbetreuung hinzukommt, da man wieder mal keinen Kita-Platz bekommen hat, dann habe ich erst einmal Verständnis dafür, dass Frauen zögern, ob sie sich das weiterhin antun wollen. Schweren Herzens reduzieren viele dann auf Teilzeit, obwohl sie wissen, dass sie sich damit von jeglicher Karriereoption abschneiden. Wir dürfen auch nicht die noch tiefgründigeren Faktoren vergessen, die zu diesen Entscheidungen führen – wie etwa die Sozialisation. Im Westen hat sich über Jahrzehnte das schlechte Gewissen verankert, wenn man sein Kind in die Kita bringt. Das gab es im Osten gar nicht. Warum soll das bei allen Frauen von heute auf morgen wie weggeblasen sein? Vor allem, wenn es ihnen – und das ist ein zweiter wichtiger Punkt – von ihren Müttern (und damit den wichtigsten Vorbildern in Sachen Kindererziehung) nicht anders vorgelebt wurde. Häufig redet noch die eigenen Mütter dagegen, wenn die erwachsene Tochter als frisch gebackene Mutter damit hadert, wieder Vollzeit arbeiten zu gehen.

 

Also sind die Omas Schuld?

Niemand ist schuld. Denn es ist komplett normal, dass diese Generation das eigene Lebensmodell verteidigen muss. Aber ja, damit sich bei den jungen Müttern etwas ändert, müssten auch alle Großmütter kollektiv aufstehen und ihre Töchter beim Karrierewunsch unterstützen.

 

Und wie sind Männer in dieser Hinsicht sozialisiert?

Der Mann orientiert sich unterbewusst logischerweise am eigenen Vater. Er macht deshalb keine schlechtere Erziehungsarbeit oder ist weniger für die Kinderbetreuung geeignet. Er hat aber eher dieses Bild im Kopf: Der Vater kommt von der Arbeit nach Hause, lässt alles stehen und liegen und konzentriert sich noch ein paar Stündchen auf das Kind, bevor es ins Bett geht. Das ist eine schöne Vorstellung vom Vatersein, die man den Vätern nicht übelnehmen kann. Zum Glück gibt es aber immer mehr junge Männer, die sich auf dieses Vaterbild nicht beschränken lassen wollen. Denn der Gleichstellungsbericht zeigt ja auch, dass immer mehr Väter Elternzeit nehmen. Wenn sich auch viele noch auf zwei Monate beschränken – weil ihnen im Unternehmen ein starker Wind entgegenbläst, weil der Mut Neues zu wagen noch nicht gewachsen ist usw. – so ist zumindest mal ein Anfang gemacht. Überhaupt sollten wir unser Augenmerk auf die kleinen Pflänzchen richten, anstatt immer damit zu hadern, dass der Baum noch nicht so groß ist wie wir ihn gerne hätten. Bekanntlich braucht Wachstum Zeit.

 

Als weiterer Grund für die kurze Elternzeit der Väter werden oft  finanzielle Aspekte genannt…

Und hierin besteht das größte Problem: Meistens – Gleichberechtigung in der Partnerschaft hin oder her – ist die Rollenaufteilung doch eine Kosten-Nutzen-Rechnung. Frauen wählen oft Berufe/Studiengänge, die später nicht so lukrativ sind. Nach der Heirat sind sie durch das Ehegattensplitting steuerlich sowieso in der schlechteren Klasse. Wenn es darum geht, wer reduziert mit Kind die Arbeitszeit, dann zieht die Frau den Kürzeren, weil sie weniger zum Einkommen beitragen kann. Hinzu kommt die teure Kinderbetreuung, die das Arbeiten für die Frau gar nicht erst lukrativ macht.

 

Diesen Argumenten hat der FAZ-Autor Christoph Schäfer mit folgenden Punkte in seinem Kommentar „Gender-Gejammer“ gekontert:

Es wird in Deutschland kein junger Mensch gezwungen, die Weichen auf einen schlecht bezahlten Beruf zu stellen. / Es gibt keinen Zwang zu heiraten. / Es gibt keinen Zwang, Kinder zu bekommen. / Es gibt keinen Zwang, sich die Arbeit mit dem Partner nach der Geburt so aufzuteilen, dass ausschließlich die Frau ihre Erwerbsarbeit reduziert.

Schlechte Argumente – als würde es nur um das persönliche Glück gehen! Wenn es all diese Zwänge tatsächlich nicht gäbe, oder sich niemand den Konventionen beugen würde, würde unsere Gesellschaft aussterben und das komplette Sozialsystem zusammenbrechen. Wo möchten wir Deutschland in Zukunft sehen? Wir investieren so viel Geld in Bildung. 59 % derer, die eine Studienzugangsberechtigung erhalten, Frauen. 46% der Promotionen werden heute von Frauen erreicht. Und diese Investitionen macht sich Deutschland dann wieder selbst zu Nicht, wenn eben diese top ausgebildeten Frauen in ihrem Berufsweg systematisch benachteiligt werden. Sollten wir nicht vielmehr dafür sorgen, dass Hürden abgebaut werden, die Frauen daran hindern, ihre Kompetenzen umfassend einzubringen?

 

Und zum Thema Frauen sind selbst schuld, wenn sie die falschen Berufe wählen: Alle Ansätze, Frauen in MINT-Berufe zu locken, schlagen fehl, weil MINT-Unternehmen keine Vision von Ingenieurinnen mit Kind und Karriere präsentieren. Weil sie um Kompetenzen werben, in denen vor allem Männer ihre Stärken sehen und Frauen sich weniger angesprochen fühlen. Einige Unternehmen haben längst erkannt, dass sie langfristig auf Frauen setzen müssen.

 

Die Maßnahmen können vielfältig sein, wichtig ist, dass ein Veränderungsprozess in den Blick genommen und angestoßen wird, der nicht nur punktuell ansetzt (z.B. nicht nur Frauencoachings), sondern alle veränderungsrelevanten Stellschrauben in den Blick nimmt (die Unternehmensführung, die -kultur, -angebote, aber auch alle männlichen Mitarbeiter beim Prozess mitnimmt). Dieser Herausforderung stellen sich die 18 Unterzeichner-Unternehmen des Memorandums für Frauen in Führung. Sie haben sich unter einem Dach zusammengeschlossen, um mehr Frauen in Führung zu bringen und dafür einen selbst erarbeiteten 15 Punkte-Plan unterschrieben, der Verpflichtungen auf allen betroffenen Themenfelder beinhaltet.

 

Interview: Julia Schmid