Die IT sorgt dafür, dass der Laden läuft. Die MTU Aero Engines ist bei technischen Neuerungen zudem immer eine Nasenspitze voraus, scheint es. Wie machen Sie das?

Wir entwickeln die entsprechenden Softwaretools in vielen Geschäftsbereichen zum Großteil selber. Wir arbeiten hier grundsätzlich sehr eng mit den Fachbereichen zusammen. Die Fachbereiche kennen ihre Arbeitsprozesse und wir steuern die IT-Technologie dazu. Das ist unser Grundverständnis.

Durch den Einsatz von Softwaretools ist es zum Beispiel möglich, frühzeitig die Triebwerksfunktion oder die Funktion der einzelnen Bauteile zu simulieren. Ein großer Teil der IT-Arbeit findet auch im Produktionsumfeld statt. Hier versuchen wir, die Prozesse soweit wie möglich zu automatisieren, also die Maschinenbetreuung sozusagen „mannlos“ zu machen. Es geht aber auch um die Frage, wie man die Daten aus der Maschine nutzen kann, um die Qualität der Bauteile abzusichern. Stichworte sind hier Datenanalyse und Prozessdatenmanagement. Auch im Maintenance-Bereich geht es sehr stark um Automatisierung bzw. um Effizienzsteigerung im Prozess. Im administrativen Bereich gilt das Gleiche. Im Vordergrund steht auch hier, der Versuch die Effizienz der Prozesse zu steigern.

 

Wie sind Sie in die Position gekommen, in der Sie heute tätig sind? Was waren die entscheidenden Schritte bzw. Wegmarken?

Ich bin keine Informatikerin, sondern Quereinsteigerin. Ich habe Luft- und Raumfahrttechnik studiert und damals vor knapp 34 Jahren im Bereich Aerodynamik bei der MTU angefangen. Dort habe ich unter anderem auch Rechenverfahren entwickelt und programmiert. Nach verschiedenen Stationen und zehn Jahren in der Autoindustrie, wo ich mich auch mit Simulationsverfahren beschäftigt habe, bin ich dann vor fast 20 Jahren wieder zur MTU zurückgekommen. In meiner neuen Position habe ich zunächst die Verantwortung für die Konstruktion übernommen. Große Themen waren damals Computer Aided Design und die Datenverwaltung, Stichwort Produktdatenmanagement. Ich habe dann anschließend die Verantwortung für die Einführung des Produktmanagementsystems übernommen und war nach dem Projekt dann sieben Jahre als Qualitätsleiterin tätig. Vor vier Jahren habe ich dann die Leitung des Bereiches IT übernommen.

Ein solcher Lebensweg, der über verschiedene Stationen und Disziplinen in höhere Hierarchieebenen führt, ist heute keineswegs selten

 

Als Quereinsteigerin bringen Sie da noch andere Sachen mit, eben gerade weil Sie nicht den geraden Weg gegangen sind. Gibt es etwas was Sie einbringen gerade, weil Sie woanders herkommen?

In meiner jetzigen Position profitiere ich von meiner Erfahrung im Bereich der Aerodynamik und von meiner Erfahrung in der Entwicklung von Rechenverfahren. Es hilft auch, dass ich auf meinem Weg über mehrere Stationen schon viele Bereiche im Unternehmens kennen gelernt habe. Im Qualitätsbereich haben wir z. B. sehr eng mit der Produktion zusammengearbeitet. Den Engineering-Bereich kenne ich sowieso aus langjähriger Tätigkeit in diesem Bereich. Die Breite der Erfahrung, die ich auch teilweise außerhalb der MTU sammeln konnte, ist natürlich sehr hilfreich.

 

Sie sind sehr gut vernetzt im Unternehmen. Gab es denn spezifische Netzwerke, die Ihnen weitergeholfen haben?

Damals, zu der Zeit als ich in Führung gegangen bin, da waren Netzwerke noch nicht en vogue. Oder anders gesagt, hat man da zumindest nicht Netzwerk dazu gesagt. Was mich schon immer weitergebracht hat,  ist der Kontakt zu den Kollegen. Die MTU ist ja ein noch vergleichsweise übersichtliches Unternehmen verglichen mit Großkonzernen. Ganz viele Kollegen sind schon sehr lange im Unternehmen. So wie ich auch. Da wächst man natürlich über die Jahre zusammen. Bei uns geht ganz viel über einen unkomplizierten Austausch. Auch die Hierarchien sind relativ durchlässig. Das ist charakteristisch bei der MTU.

 

Sie haben sich mehrmals als Mentorin im Cross-Mentoring München engagiert, drei Mal sogar. Gab es in Ihrem Leben Vorbilder, Role Models oder eine Mentor*in, die Sie in Ihrem Berufswunsch oder in Ihrem Werdegang unterstützt haben?

Das gab es. Nur hat man damals nicht von Mentoren gesprochen. Auf meinem Lebensweg gab es einige Personen, die mich beobachtet, unterstützt und gefördert haben. Sozusagen ein wenig die Hand über mich gehalten haben. Das fing in der Schule schon an. Ich hatte einen sehr guten Mathelehrer. Der hat mich aktiv gefördert, als er mitbekommen hat, dass ich Luft- und Raumfahrttechnik studieren will. Das war sein persönlicher unverwirklichter Studientraum. Er hatte sehr viel Freude daran, mit mir diesen Weg zu gehen.

Und im Beruf hatte ich zwei, drei Vorgesetzte, die mich besonders unterstützt haben. Sie haben mich in Situationen gebracht, in denen ich die Komfortzone verlassen musste, haben mir die Gelegenheit gegeben, ein größeres Projekt zu leiten und so „sichtbar“ zu werden, vielleicht auch mal einen wichtigen Vortrag vor größerem Publikum zu machen. Es gab also durchaus Personen, die meine Entwicklung unterstützt haben.

 

Wenn man annimmt, dass sich das Arbeitsleben mit der Digitalisierung verändert und die IT aus fast keinem Beruf mehr wegzudenken ist: bringt die Digitalisierung eine positive Veränderung für Frauen in der Berufswelt? Können Sie da Anzeichen erkennen? Was würden Sie als Prognose wagen, wird sich da etwas verändern, im Verhältnis, oder auch im Interesse von Frauen? Oder darin, dass Frauen sich stärker dem MINT-Bereich zuwenden oder sich für ein Studium entscheiden?

Ich glaube, dass Frauen ihre Studienwahl recht rational betreiben und die Entscheidung tendenziell weniger emotional fällen als Männern. Mit der Digitalisierung überlegen sich kluge Frauen sicher, ob sie nicht den Studiengang Informatik wählen, um damit auf Dauer einen guten Arbeitsplatz und eine gute Perspektiven zu haben. Das könnte ich mir zumindest durchaus vorstellen.

Digitalisierung wird zudem noch ganz andere Dinge verändern. Uns eröffnen sich neue Möglichkeiten mobil , zum Beispiel von zu Hause aus zu arbeiten. Das Stichwort Remote-Arbeiten bzw. mobiles Arbeiten wird immer mehr Raum einnehmen. Das ist natürlich ein Thema, das Frauen, aber durchaus auch Männern, grundsätzlich entgegen kommt. Es ist ein Gewinn für alle, dass man den Arbeitstag nicht von acht bis siebzehn Uhr in der Firma verbringen muss, sondern auch von zuhause arbeiten kann und damit den Anforderungen im privaten Umfeld eher gerecht werden kann. Die IT ist der Enabler dafür, dass sowas überhaupt passieren kann.

 

Welche Maßnahmen ergreift die MTU noch, speziell um mehr Frauen zu gewinnen, in einem Bereich, in dem Fachkräfte ganz dringend gesucht werden? Fahren Sie da auch Kampagnen, um direkt Frauen anzusprechen oder auch zu ermutigen, sei es ein duales Studium bei Ihnen anzufangen oder für eine Ihrer Positionen zu gewinnen?

Wir haben bei MTU über längere Zeit hinweg ein Projekt durchgeführt mit der speziellen Zielsetzung, den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen. Und aus diesem Projekt resultierten eine ganze Menge an Maßnahmen. Es fängt ganz banal damit an, dass wir unsere Stellenanzeigen generell überarbeitet haben. Wir haben das Wording eher so gestaltet, dass sich auch mehr Frauen angesprochen fühlen. Da gibt es Unterschiede. Frauen finden bestimmte Begriffe unattraktiv und bewerben sich dann schlichtweg nicht. Die Idee hier war die Anzahl von Bewerbungen von Frauen zu erhöhen. Das hat auch gut funktioniert.

Darüber hinaus versuchen wir natürlich auch, Frauen gezielt in Richtung Führung zu entwickeln. Zentral sind hier die Mentorings, die wir seit Jahren durchführen. Die MTU engagiert sich natürlich im Cross-Mentoring München. Die Zielgruppe des Programms sind hier ja explizit Frauen. Ergänzend dazu haben wir auch interne Mentorings gemacht, auch speziell für Frauen.

Zudem sind wir dabei, unser internes Frauennetzwerk neu aufzusetzen und mit einer Neuorientierung zu verstetigen. Wir haben auch ein Studiennetzwerk, die Studienstiftung für Frauen. Da fördern wir Absolventinnen, junge Frauen, die die ersten Stationen im Unternehmen schon durchlaufen haben. Das ist auch ein Mentoring-Projekt, wo wir die Frauen weiter begleiten und außerdem noch Fördermöglichkeiten anbieten in Form von bestimmten Weiterbildungen. Wir sagen hier bewusst `das könnte unser Nachwuchs sein`. Wir wollen diese Studentinnen an uns binden, nicht aus dem Auge verlieren und letztendlich für uns gewinnen.

 

Welche Eigenschaften und Kompetenzen sollen Frauen mitbringen, die gerne im Bereich IT und Digitalisierung bei der MTU arbeiten wollen? Was sind die gesuchten Schlüsselqualifikationen?

Wir planen eine neue Recruiting-Kampagne zum Thema IT, weil wir viele Stellen im IT-Bereich zu besetzen haben. Wir suchen vor allem Leute mit Informatik-Hintergrund oder vergleichbarer Qualifikation. Im Prinzip haben wir auch kein Problem mit Quereinsteigern.

Wichtig ist, dass die Kandidaten sehr gut mit dem jeweiligen Fachbereich zusammenarbeiten können. Das müssen alle mitbringen. Die Zielsetzung im IT-Bereich ist, dass wir die Anforderungen der Anwender verstehen und daraus dann Spezifikationen erstellen, die dann wiederum in der Programmierung umgesetzt werden. Wir suchen in erster Linie keine Programmierer, sondern Leute, die diesen Transfer sicher stellen. Das ist natürlich sehr spannend und macht den Kollegen immer viel Freude, da sie damit sehr nah an den Prozessen und damit auch am Produkt dran sind. Am Ende sehen sie den Erfolg ihrer Arbeit und zufriedene Kunden. Insofern braucht man eine gewisse Neugier und ein grundsätzliches Dienstleistungsverständnis, mit den Willen dem Fachbereichen helfen zu wollen, indem man die passende IT für sie baut.

 

Ist da auch ein spezifisches Wissen, eine Nähe zum Fachbereich Voraussetzung?

Wir erwarten nicht, dass jemand ein duales Studium hat und sich in Produktionstechnik UND Informatik auskennt. Ein gewisser technischer Hintergrund oder eine Affinität zu den administrativen Prozessen ist wichtig. Aber die meisten Dinge kann man bei uns lernen, daher sind uns Neugier und Interesse wichtig. Wir suchen vor allem Menschen, die länger bei uns bleiben, denn Kontinuität ist uns sehr wichtig. Wir sind davon überzeugt, dass wir ein toller Arbeitgeber sind und einiges zu bieten haben.

 

Sie sagen, Sie suchen langfristig Leute. Was machen Sie denn um Leute zu entwickeln ? Was gibt es für Entwicklungsmöglichkeiten bei der MTU? Was für Möglichkeiten gibt es speziell für Absolvent*innen?

Wir machen sehr viel interne Weiterbildung. Für jeden, der bei uns an Board kommt, gibt es zunächst ein individuelles Einarbeitungsprogramm. Das sieht zunächst verschiedene interne Kurse vor. Dann natürlich aber auch sehr stark training on the job. Ganz klar. Die Kolleg*innen bekommen am Anfang schon Aufgaben und erste kleine Projekte, die werden dann immer größer, bis sie dann schließlich eigenverantwortlich die größeren Sachen stemmen.

Bei der Einführung neuer Technologien, beispielsweise dem neuen SAP Release, senden wir unsere Mitarbeiter auf externe Weiterbildungen und die einschlägigen Kurse. Das können wir im Haus gar nicht abbilden. Für den Führungsnachwuchs haben wir spezielle Führungstrainings, die dann je nach Ebene verschiedenen ablaufen. Hierbei handelt es sich um Zeitspannen zwischen zwei und drei Wochen, die mit verschiedenen Themenfeldern gefüllt werden.

 

Wir haben viel dazu gehört, was eine Beschäftigung bei der MTU so interessant macht. Wieso haben Sie sich denn für den IT-Bereich entschieden? Sie sind ja erst mal in eine andere Richtung gegangen, haben noch eine Kurve genommen. Was begeistert Sie speziell im IT-Bereich?

Das ganz tolle am IT-Bereich ist, dass wir durch die Digitalisierung unheimlich viel bewegen und gestalten können. Wir hatten, glaube ich, noch nie so viele neue Technologien am Markt: Mobile Geräte, Spracherkennung, Augmented Reality, das ganze Thema Big Data. Wir sind dabei, eine neue Produktionshalle zu bauen und überlegen, die Halle mit 5G ausstatten, also dem neuen Hochgeschwindigkeitsnetz. Da bewegt sich wahnsinnig viel, auch im Consumer-Bereich, was dann überschwappt in die Industrie. Wir haben daher derzeit viele unheimlich spannende Projekte. Wir haben eine riesige Nachfrage durch die Fachbereiche. Die IT hat mittlerweile auch einen höheren Stellenwert. Wir sind nicht nur diejenigen, die fast geräuschlos die Infrastruktur bereit stellen. Wir sind auch der Enabler. Wir helfen den Fachbereichen bei der Umsetzung ihrer Ziele. Man merkt an vielen Stellen, dass wir riesige Sprünge machen durch die neue Technologie. Das macht es einfach irre spannend bei uns.

 

Wie können Sie Ihre persönlichen Stärken einbringen, in die Position, in die Aufgaben? Wie konnten Sie dieses Stärken einsetzen, um in diese Position zu kommen? Wie konnten Sie sich durchsetzen?

Ich denke, den wesentlichen Ausschlag gibt, dass mir die Arbeit wirklich immer Spaß macht, dass ich in einem Bereich arbeite, wo ich wirklich Freude habe. Wenn man Freude hat an der Arbeit, dann geht man auch die Extrameile. Ich war immer von Neugier angetrieben. Ich wollte immer mehr lernen und habe dann immer noch  ein weiteres Projekt übernommen. Es war immer mein Antrieb mich breit aufzustellen. Und jetzt, wenn ich als Vorgesetzte merke, dass junge Menschen sich interessieren und auch sichtbar werden wollen und am Ende auch bereit sind mehr Verantwortung zu übernehmen, dann ist das eine richtig tolle Sache.

 

Unser Blog heißt „Mutmacher.in“ und Sie eine der Mutmacher.innen, die dem Blog ein Gesicht geben. Wie würden Sie andere Frauen ermutigen, die in die gleiche Branche möchten? Welche Tipps würden Sie ihnen geben?

Im Lauf der Karriere muss sich jeder die Frage beantworten: was will ich denn eigentlich? Will ich eine Expertenfunktion einnehmen und eine Fachlaufbahn anstreben oder ist mir Führung wichtig. Diesen Weg muss man dann auch konsequent gehen. Es ist auch sehr wichtig, eine positive Einstellung und gewisse Flexibilität zu haben, denn es läuft meistens nicht alles geradlinig. Das heißt man muss manchmal ein paar Niederlagen einstecken können, und dann eine gewisse Standfestigkeit haben und sich trotzdem nicht unterkriegen lassen. Und immer mit Überzeugung dabei sein, ich glaube, das ist das Wichtigste. Wenn man keine Freude an dem hat, was man tut, dann macht man es eben auch nicht gut. Das strahlt dann sofort in die Umgebung ab.

Man muss einfach eine Liebe zu seinen Aufgaben mitbringen. Sagen können, `es interessiert mich und es macht mir Freude mich in diesem Bereich in neue Themen einzugraben`. Im IT-Bereich oder wo auch immer. Den Ausschlag gibt am Ende das Herzblut, das man mitbringt.

Was nicht wirklich förderlich ist, ist Perfektionismus. Insbesondere Frauen tendieren manchmal dazu zu sagen, ´Jetzt muss ich erst noch diesen Kurs machen und jenes noch lernen und den dritten Schein und den fünften, und dann auch noch den Auslandsaufenthalt absolvieren`. Und dann reicht’s aus ihrer Sicht immer noch nicht, sich um eine Stelle zu bewerben. Also haben Sie Mut zur Lücke und das Selbstvertrauen, zu sagen `die schließt sich dann schon`. Niemand bringt von VORNHEREIN 100 Prozent aller Voraussetzungen mit. Denken Sie daran, wenn ein neues Projekt oder die nächste Beförderung ansteht. Stehen Sie zu sich selbst und sagen Sie, `wenn ich das wirklich möchte, ich mir sicher bin, ich habe Freude daran, dann mache ich das. Ich gehe aus der Komfortzone raus und bin bereit dazu‘.

 

Vielen Dank für das Interview, Frau Dr. Herget-Wehlitz.

Interview: @Cross Consult