Irene Bärtle ist Referatsleiterin Immobilienmanagement – Wohnimmobilien bei der Bayerischen Versorgungskammer (BVK). Nach ihrem Jurastudium hat sie zunächst bei der DB Imm GmbH Bahngrundstücke verkauft und ist so in die Immobilienwirtschaft eingestiegen. Bei der BVK hat sich Frau Bärtle von der Sachbearbeitung in der Gewerberaumvermietung bis zur Referatsleitung in der Regionalverwaltung München in den letzten 16 Jahren konsequent weiterentwickelt.

Privat engagiert sich Irene Bärtle im Monteverdichor München, seit fünf Jahren auch als Vorstandsvorsitzende des Vereins. Ihre musikalische Leidenschaft, ihre Konzerterfahrung und ihr langjähriges Training sind auch Schlüssel ihrer beruflichen Karriere. Im Interview berichtet sie von vermeintlichen Selbstverständlichkeiten und dem gewissen Auftreten.

 

 

Frau Bärtle, Sie sind Referatsleiterin Immobilienmanagement bei der BVK. Wie können wir uns das vorstellen?

Im Referat bin ich heute verantwortlich für insgesamt 31 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die 67 Bestandsimmobilien mit 8040 Wohnungen an 9 Standorten verwalten- hauptsächlich Wohnimmobilien sowie einige gemischt genutzte Objekte und ein kleines Einkaufszentrum. Ebenfalls betreut werden 46 festangestellte Hausmeister*innen und Reinigungskräfte und zehn Hausmeisterfirmen. Das Referat deckt das gesamte Spektrum einer Hausverwaltung ab: Wohnungskündigungen und Vermietungen, Durchführung von Betriebskostenabrechnungen und Mieterhöhungen im laufenden Mietverhältnis, die Sicherstellung der Einhaltung von Verkehrssicherungspflichten sowie die Aufrechterhaltung eines gepflegten Objektzustands. Natürlich können sich darüber hinaus Mieterinnen und Mieter mit ihren unterschiedlichen Belangen auch persönlich an uns wenden.

 

Frauen sind in der Immobilienbranche allgemein unterrepräsentiert. Wie ist es Ihnen ergangen?

Als ich vor zwölf Jahren Führungsverantwortung übernommen habe, war ich im damaligen Bereich Kapitalanlagen eine der beiden ersten Frauen in der Position einer Sachgebietsleiterin. Der Bereich war bis dahin eine Männerdomäne. Auch im Team der Gewerbevermietung waren bis zu meinem Eintritt ausschließlich Männer beschäftigt. Und in der Hierarchie über mir waren und sind bis heute nur Männer beschäftigt. Ich bin somit auch die erste Referatsleiterin im Bereich Immobilien-Investment Management bei der BVK.

 

Wie setzt sich Ihr Team zusammen?

Tatsächlich setzt sich mein Team überwiegend aus Frauen zusammen. Ich habe drei Sachgebietsleiterinnen und unter den fünf Beschäftigten, die direkt mit mir zusammenarbeiten, ist ein Mann. Das ist außergewöhnlich.

 

Da hat sich anscheinend einiges getan bei der BVK…

Ja, die Themen Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Frauen in Führungspositionen stehen heute mehr im Fokus und haben einen anderen Stellenwert als noch vor ein paar Jahren. Vor allem auch deshalb, weil sich der Vorstand durch das Memorandum für Frauen in Führung auch nach außen hin sichtbar dazu verpflichtet hat. Inwieweit das dann auch tatsächlich in allen Bereichen immer direkte Auswirkungen auf Personalentscheidungen hat, da bin ich persönlich noch ein bisschen skeptisch. Die Inhalte sind nach meiner Wahrnehmung noch nicht überall angekommen und müssen noch viel selbstverständlicher gelebt werden.

 

Was bietet die BVK an, um Mütter und Väter mit minderjährigen Kindern zu entlasten und zu ermöglichen Beruf und Familie zu vereinbaren?

Wir haben Teilzeitangebote. Wir bieten Telearbeit an, auf diese Möglichkeiten greifen Mütter mit kleinen Kindern gerne zurück. Aber auch Väter nehmen zum Beispiel zunehmend Elternzeit. Das freut mich besonders. Aus dem Freundeskreis weiß ich, dass die Elternzeit in anderen Unternehmen nicht so selbstverständlich von Männern angenommen wird.

Für mich als Führungskraft setzen diese verschiedenen Arbeitszeitmodelle ein Verständnis für die jeweilige Lebenssituation und ein Bewusstsein für die damit einhergehenden unterschiedlichen Bedürfnisse voraus. Zudem erfordern sie eine gute Organisation der Arbeitsabläufe, Geduld und eine längerfristige Denkweise.

Frauen in Führungspositionen bringen für die BVK viele Vorteile. Dadurch gewinnt das Unternehmen zusätzliche Perspektiven. Stärken, die Frauen aufgrund ihrer Lebenserfahrung und -situation häufig mitbringen, sind zum Beispiel ein sehr hohes Maß an Selbst-Organisation, Verantwortungsbewusstsein, Effizienz und Disziplin in der Arbeitsweise einhergehend mit einer realistischen Einschätzung von Aufgabenstellungen, Kapazitäten und Zeiteinteilungen.

 

Können Sie ihren Kollegen teilweise eine andere Perspektive nahebringen?

Tja, das ist eine sehr spannende Frage! Interessanterweise habe ich bei mir festgestellt, dass ich zunächst einmal das Verhalten und die Denkweisen, die von den Vorgesetzten und Kollegen um mich herum gelebt wurden, übernommen habe. Mit zunehmender Erfahrung stelle ich nun fest, dass ich manches Vorgehen nicht mehr als selbstverständlich gegeben hinnehme, sondern hinterfrage, weil es nicht meinem eigenen Empfinden, meinen Werten und Vorstellungen zu meinen Führungsaufgaben entspricht. Also bringe ich jetzt je nach Situation eine andere Sicht ein. Das ist eine Gratwanderung. Manche Situationen lasse ich einfach so im Raum stehen oder kommentiere sie zum Beispiel mit einem Lachen. In anderen Situationen halte ich inne und konfrontiere Kolleginnen beziehungsweise Kollegen mit einem bestimmten Verhalten, um ein Bewusstsein für bestimmte Verhaltensweisen zu wecken. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn ich feststelle, dass ein Rollen- bzw. Denkmuster eines Kollegen zu Lasten einer Kollegin geht und sich beide darüber nicht bewusst sind und insbesondere die Kollegin darunter leidet. Natürlich kommt auch der umgekehrte Fall vor. Meine Beobachtung ist allerdings auch, dass sich betroffene Männer sehr viel schneller und direkter zur Wehr setzen. Nach meiner Erfahrung ist das Bewusstheit einer Situation eine unbedingte Voraussetzung dafür, sein Verhalten zu ändern. Zunächst handelt jeder erst mal aus seinem persönlichen Erfahrungsschatz heraus und setzt diesen als selbstverständlich voraus.

 

Gab es Abschnitte auf Ihrem beruflichen Weg, an denen es für Sie schwierig war, Beruf und Privatleben zu vereinbaren? Welche waren das? Was würden Sie in dieser Hinsicht für Ratschläge geben?

Die Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat eine private und eine berufliche Komponente. Man darf nicht der Illusion unterliegen, dass jede immer alles erreichen kann. Ich selbst habe keine Kinder. Mein Ratschlag an Mütter ist, sich im privaten Bereich die größtmögliche Unterstützung zu organisieren und eine möglichst gleichwertige Aufteilung der Verantwortung bei der Kindererziehung und -betreuung einzufordern. Wenn ich im Berufsleben Erfolg haben will, dann brauche ich auch als Frau im privaten Bereich Unterstützung, die mir den Rücken freihält.

Im beruflichen Umfeld braucht es die Möglichkeit, dass Frauen auch in jüngeren Jahren bereits Führungsverantwortung übernehmen können, so dass eine Planbarkeit des Karrierewegs gegeben ist. Das Zeitfenster sowohl für Familiengründung als auch für Karriere ist bei Frauen kleiner und das muss auch von Arbeitgeberseite berücksichtigt werden. Tatsächlich scheinen mir heute diese Bedingungen häufiger erfüllt zu sein als noch vor zehn oder fünfzehn Jahren, heute gibt es immerhin auch schon einzelne Sachgebietsleiterinnen mit kleinen Kindern.

 

Zur Immobilienbranche im Allgemeinen. Hier sind Frauen stark unterrepräsentiert. Was glauben Sie, wieso ist das so?

In früheren Jahren war ich regelmäßig auf der Expo Real. Das ist die große Messe der Immobilienbranche. Der Männeranteil liegt dort bei circa 90 %. Wenn man als Frau dort hingeht, muss man erst ein ordentliches Selbstbewusstsein entwickeln, um nicht als Hostess oder ähnliches wahrgenommen zu werden, sondern als Kollegin, die auf Augenhöhe auftritt. Und tatsächlich habe ich mich in jüngeren Jahren auf dieser Messe eher unwohl gefühlt. Dort ist ein spezieller Typus Mann sehr häufig anzutreffen, der dem Bild eines speziellen Geschäftsmanns entspricht: durchsetzungsstark, erfolgreich, mächtig.

Mittlerweile finden sich aber auch in der Immobilienbranche erfolgreiche Frauen in Spitzenpositionen und es gibt auch Netzwerke für Frauen. Viele Frauen haben sich zudem als Maklerinnen in der Wohnungsvermittlung selbstständig gemacht. Tatsächlich sind es häufig Frauen, die entscheiden, ob beziehungsweise welche Wohnung angemietet werden soll. Frauen können daher auch Abschlusschancen bei der Wohnungsvermittlung gut einschätzen und realisieren.

Ich denke, dass Frauen generell lösungsorientierter vorgehen und häufig nicht die Notwendigkeit sehen, sich erst zu messen, zu behaupten bzw. abzugrenzen – obwohl sie das natürlich ebenfalls können, wenn es sein muss.

 

 

Würden Sie sagen, es gibt andere Erwartungen an Frauen, was das Verhalten angeht, was das Auftreten angeht? Eckt man auch an, wenn man demonstriert, dass man auch durchsetzungsstark ist, dass man…

Nun, das ist schwer zu sagen. Wenn man eine gewisse Souveränität hat und Selbstbewusstsein und selbstverständlich auftritt, wird man akzeptiert. Ich glaube, Frauen tun sich schwerer, sich dies zu erarbeiten. Den Weg dahin beschreiten Männer und Frauen nach wie vor unterschiedlich.

Es ist nach meiner Einschätzung nach wie vor so: Männer machen ein Projekt. Das ist erfolgreich. Dann meinen sie, ihnen steht die Welt offen, sie haben sich jetzt bewiesen und ihnen steht selbstverständlich die nächste Erfolgsstufe zu. Es ist gefühlt quasi unzumutbar, einfach auf derselben Stufe weiterzumachen und die damit verbundenen Aufgaben zu erledigen, ohne dass dies besonders anerkannt wird. Nachdem Männer untereinander ein ähnliches Verständnis haben, unterstützen sie andere Männer in diesem Bemühen und Selbstverständnis.

Bei Frauen herrscht nach wie vor eher ein anderes Selbstverständnis vor. Ich habe Aufgaben, die erledige ich gut. Das wird dabei auch sehr viel weniger mit hierarchischem Denken verknüpft. Sie arbeiten weiter in dem Vertrauen, dass das dann schon berücksichtigt wird, wenn keine weiteren Beanstandungen kommen. Und das ist ein Irrtum. Wer davon ausgeht, dass es selbstverständlich ist, dass Aufgaben erledigt werden, stellt fest, dass das auch für andere zur Selbstverständlichkeit wird und dann erst mal gar nichts weiter passiert. Frauen müssen lernen, sich bemerkbar zu machen und genauso wie Männer die nächste verdiente Anerkennung und weitere Entwicklungsmöglichkeiten einzufordern. Sie müssen – genauso wie Männer – hergehen und sagen: ´Ja Leute, was wollt ihr eigentlich? Wann wird meine Arbeitsleistung entsprechend gewürdigt? Wann kommt meine nächste Karrierestufe? `

 

Wie war das bei Ihnen? Haben Sie das dann auch eingefordert? Oder hatten Sie vielleicht auch Mentoren? Ein Netzwerk auf das Sie zurückgreifen konnten?

Nein, Netzwerk hatte ich keines. Allerdings bin ich damals durch einen ehemaligen Kollegen ermutigt worden, mich auf eine freie Stelle hier im Unternehmen zu bewerben und kam so zur BVK. Und ich habe in gewissem Sinne eine Mentorin, nämlich die Musik. Ich habe über Jahre Gesangsstunden genommen und mich persönlich dadurch fortentwickelt. Beim Singen von Solostellen ist man komplett auf sich alleine gestellt, da hilft einem niemand. Das erfordert Verantwortung, Mut, Selbstvertrauen, Präsenz und Offenheit – neben einer ausreichenden Vorbereitung natürlich.

Beim Chorsingen hingegen ist ein permanenter Wechsel erforderlich zwischen führen und geführt werden, sich in den Gesamtklang einordnen beziehungsweise aus ihm heraustreten, und dies immer im Hinblick auf das Zusammenwirken im Augenblick zusammen mit den Mitsängerinnen und Sängern und dem Dirigenten. Dieses Training der ständigen Funktionswechsel ist mir inzwischen schon sehr in Fleisch und Blut übergegangen und gibt mir Orientierung für mein Selbstverständnis als Führungskraft und der Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen und Vorgesetzten.

Durch den Gesangsunterricht und das Stimmtraining habe ich zudem gelernt, meine Stimme gezielter einzusetzen, Intonation, Sprachmelodie, Lautstärke und Sprechgeschwindigkeit bewusster zu kontrollieren. Dann wurde mir im Laufe der Zeit bewusst, dass die Beschäftigung mit diesen `Selbstverständlichkeiten` auch im (Arbeits-)Leben sehr hilfreich ist. Durch die regelmäßigen Konzertauftritte habe ich mir ein anderes Auftreten erarbeitet. Ich werde wahrgenommen.

 

Was muss man sonst noch mitbringen, um beruflichen Erfolg zu haben?

Persönliche Voraussetzungen tun immer gut, egal ob man Mann oder Frau ist. Dazu gehören Verantwortungsbewusstsein, Ehrgeiz, Neugier, Mut, sich auf neue Situationen und Herausforderungen einzulassen und eine Empathie für Menschen. Wenn ich Menschen führen will, muss ich erst mal wahrnehmen, an welchem Punkt sie stehen, wo ich sie erreichen und abholen kann. Dann gehört auch Zielstrebigkeit dazu: ich muss wissen, wo ich selbst stehe und wo ich Hin will. Das ist nicht in jedem Moment erforderlich, es sind auch Umwege oder Proben möglich. Allerdings ist auch die Fähigkeit zur Standortbestimmung und Selbstreflektion wichtig, sowie eine Steuerungs- und Orientierungsfähigkeit. In welcher Richtung bin ich gerade unterwegs? Was muss ich machen, um wieder in die richtige Richtung zu kommen bzw. in der richtigen Richtung zu bleiben?

 

Was würden Sie anderen Frauen mitgeben, die sagen, diese Eigenschaften bringe ich an sich auch mit…`?

Machen! Mut! Einfordern! Sich selbst etwas zutrauen bzw. von sich selbst etwas verlangen und nicht aus Angst vor der eigenen Courage kapitulieren. Selbstvertrauen haben oder entwickeln und hinzustehen und sagen `Ja. Ich versuche das jetzt. Ich will das. Ich mache das`. Und dann stellt man fest, dass das dann auch von anderen so wahrgenommen und bestätigt wird.

Man darf sich auch durch Rückschläge nicht aus dem Konzept bringen lassen oder die Erwartung haben, gleich beim ersten Mal alles sofort zu erreichen, Geduld gehört auch dazu. Es ist ja noch kein Meister vom Himmel gefallen. Wenn man fällt, steht man auf und geht weiter. Und sagt sich ´Gut, ich habe neue Erfahrungen gemacht, die meinen Aktionsradius erweitern, beim nächsten Mal probiere ich etwas anderes aus. `

Also, so viele Erfahrungen sammeln wie es nur geht, in unterschiedlichen Bereichen, neugierig und offen sein. Dann habe ich andere Möglichkeiten zu agieren. Ich sehe Chancen.

 

Vielen Dank für das Interview, Frau Bärtle. 

Interview: Veronika Schmid