Ursula Clara Deschka, Vorstandsmitglied von ergo Deutschland, ermutigt Frauen authentisch zu sein. Ein Interview!

Sie sind Mitglied des Vorstands der ERGO Deutschland AG, sowie Vorsitzende des Vorstands der ERGO Krankenversicherung AG und haben noch Vorstandsposten bei Töchtern der ERGO inne. Den ersten Vorstandsposten haben Sie 2017 angenommen, weitere sind dazu gekommen. Was hat Sie motiviert Vorständin zu werden?

 

Eins ist klar: Ich bin nicht in meinen ersten Job gestartet mit dem festen Ziel vor Augen, 15 Jahre später Vorständin zu werden. Die Karriere hat sich im Laufe der Zeit entwickelt – und eines hat das andere ergeben. Ich mag meine Aufgabe als Vorständin aus vielen Gründen: Die Position ist äußerst spannend und abwechslungsreich. Kein Tag gleicht dem anderen! Außerdem habe ich große Spaß an Veränderungen und daran, Dinge voranzutreiben und besser zu machen. Im Vorstand habe ich sehr viele Möglichkeiten, Veränderungen anzustoßen und zu begleiten. Das geht natürlich nur mit einem tollen Team – und das ist für mich eine zusätzliche Motivation: Ich bin absoluter Team-Player und habe sehr große Freude an Führung und daran, mein Team und dessen Mitglieder weiterzuentwickeln, um so gemeinsam erfolgreich zu sein.

 

Sie sind seit 2017 konstant in Vorstandspositionen. Viele Vorstände halten sich nicht so lange. Was muss frau mitbringen, um im Vorstand erfolgreich agieren zu können?

 

Das kommt mir ehrlich gesagt noch gar nicht so lange vor; die Zeit ist wie im Flug vergangen. Vermutlich, weil mir die Aufgabe viel Freude macht. Genau das ist aus meiner Sicht auch ein zentraler Erfolgsfaktor, nicht nur im Vorstand: Spaß an der Arbeit. Außerdem – das merke ich immer wieder – ist ein stabiles Netzwerk sehr wichtig, und zwar über alle Hierarchien, nach innen und nach außen. Das gebe ich auch jüngeren Kolleginnen und Kollegen regelmäßig mit auf ihren Karriereweg. Aus meiner Sicht ist ein Netzwerk keine Last oder Verpflichtung, sondern es ist die Möglichkeit, spannende Einblicke zu bekommen und inspirierenden Austausch zu pflegen.
Eine weitere Eigenschaft, die für die Vorstandsrolle aus meiner Sicht unabdingbar ist, ist ausgeprägtes analytisches und strategisches Denken und die Fähigkeit, schnell klare Entscheidungen zu treffen. Ich bin jeden Tag mit Situationen konfrontiert, die ich rasch überblicken und einschätzen muss. Darüber hinaus werden im Vorstand regelmäßig strategische Entscheidungen getroffen, die den Kurs für die nächsten Jahre bestimmen – da hilft ein tiefes Verständnis der Zusammenhänge und Implikationen.

 

Welche Hürden mussten Sie auf dem Weg nach oben nehmen?

Die größte Hürde ist leider ein Klischee: Als Frau wird man von manchen Kollegen gerade zum Einstieg in die Karriere leider nicht ernst genommen. Diese Erfahrung habe ich beispielsweise in meiner ersten Führungsposition gemacht, als mir mein damals 63-jähriger Vorgänger erklärte, dass er in meinem künftigen Team Wetten laufen lassen würde, wie viele Wochen ich mich in der Führungsrolle halten würde. Kein schöner Einstieg. Damals war ich 24 Jahre alt. – Mich hat das aber nicht abgeschreckt, sondern noch mehr angespornt. Meine Erfahrung: Respekt und Standing muss man sich erarbeiten, gerade als Frau. Und: Mit der Zeit und guter Arbeit kann man die Menschen für sich gewinnen und überzeugen.

Wer hat Sie auf Ihrem Karriereweg unterstützt?

Ich habe eine große Unterstützung von meinem Umfeld bekommen. Ganz besonders meine Mentorin und mein Mentor haben mich gefordert und gefördert. Aber auch Kolleginnen und Kollegen, Vorgesetzte und Coaches haben regelmäßig einen Anteil daran gehabt, dass mein Karriereweg immer weiterging. Dafür bin ich sehr dankbar. Zusätzlich müssen auch Familie und Freunde immer wieder zurückstecken – auch hier habe ich viel Unterstützung erfahren.

Welche Rolle hat Ermutigung durch andere auf diesem Weg gespielt?

Ermutigung und positives Feedback sind enorm wichtig. Jeder kennt den Punkt, an dem man sich selbst und seine eigenen Fähigkeiten, Leistungen und Erfolge in Frage stellt. Die Psychologen sprechen hier vom sogenannten Impostor-Syndrom. Während man ursprünglich davon ausgegangen ist, dass davon vornehmlich Frauen betroffen sind, weiß man heute, dass Männer im gleichen Maß an sich zweifeln.
Deshalb ist mir direktes, vertrauensvolles Feedback sehr wichtig. Bei aller Klarheit auch hinsichtlich Schwächen gilt hier immer: Je mehr ich den Menschen zutraue, je mehr ich ihnen vertraue, desto mehr trauen sie sich selbst zu. Und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten ist eine wesentliche Grundlage für eine erfolgreiche Karriere.

Vor 10 Jahren waren Sie, damals noch bei der Allianz, Mentee im Cross-Mentoring München. Wie hat das Mentoring zu Ihrer Karriereentwicklung beigetragen?

Ich habe viele positive Erinnerungen an die Zeit als Mentee im Cross-Mentoring München. Rückblickend betrachtet war das Programm für mich ein wesentlicher Baustein für meine Karriere. Durch den Austausch und die sehr aktive Begleitung meiner Mentorin aus einem völlig anderen Wirtschaftszweig konnte ich meinen eigenen Horizont erweitern, konnte mich leicht öffnen und habe so sehr wertvolles Feedback auf einer Ebene außerhalb meines direkten Arbeitsumfelds bekommen. Meine damalige Mentorin (die heute schon in Rente ist) und ich haben heute noch Kontakt.

 

Frauen in Führungspositionen

Sie selbst sind in unterschiedlichen Programmen als Mentorin aktiv. Hat sich aus Ihrer Sicht in den letzten 10 Jahren, seit Sie Mentee waren, etwas für Frauen in den Unternehmen geändert oder nicht? Wenn ja, wo nehmen Sie Veränderungen wahr?

Ganz klar: Ja! Die Situation heute ist eine ganz andere als noch vor zehn Jahren – auch wenn immer noch gutes Stück Wegstrecke bis zur wirklichen Gleichberechtigung zu gehen ist. Vor allem hat sich aus meiner Sicht die Wahrnehmung geändert: Diversität wird heute viel stärker thematisiert. Außerdem – oder vielleicht auch deshalb – treten Frauen heute zum Glück selbstbewusster auf. Viele wollen traditionelle Regeln und geltende „Gesetze“ verändern. Mit Blick auf die letzten zehn Jahre ist mein Eindruck, dass sich besonders in den vergangenen fünf Jahren viel getan hat und sich die Entwicklung beschleunigt hat. Meine Hoffnung ist, dass sich das Tempo in den nächsten Jahren noch weiter erhöht. Denn ich sehe es als Tatsache: Vielfalt ist einer der zentralen Erfolgsfaktoren für Unternehmen aller Branchen.

Was können Unternehmen aus Ihrer Sicht tun, um nachhaltig am Thema „Mixed Leadership“ zu arbeiten?

Unternehmen können insbesondere bei den Rahmenbedingungen eine ganze Menge tun, um die richtigen Voraussetzungen zu schaffen. Zentrale Punkte sind aus meiner Sicht die Regelung der Arbeitszeiten und ein familienfreundliches Arbeitszeitmanagement, eine klare und wertschätzende Feedbackkultur, die Lust darauf macht, sich weiterzuentwickeln und Top-Leistungen zu erbringen, und insgesamt ein professioneller und wertschätzender Umgang miteinander. So lassen sich im Übrigen aus meiner Sicht nicht nur Frauen ansprechen, sondern (junge) Menschen generell begeistern.

Wo sind Ihrer Meinung nach, die Frauen selbst gefragt?

Aus meiner Erfahrung gibt es drei wichtige Stellhebel, mit denen Frauen ihren Karriereweg und ihren Erfolg ganz maßgeblich selbst beeinflussen können. Leistungsbereitschaft und -vermögen sind natürlich wichtig. Dazu gehört auch, in sich selbst zu investieren, sich zu reflektieren und seine Fähigkeiten über Seminare oder Coachings ständig weiterzuentwickeln. Dafür Zeit zu investieren ist wirklich wichtig. Die zweite zentrale Säule ist eng damit verbunden: Man muss den beruflichen Erfolg auch wirklich wollen – mit allen seinen Sonnen- und Schattenseiten. Dieses Mindset trägt massiv zur eigenen Reputation und zur Fremdwahrnehmung bei und öffnet viele Türen. Zum dritten Punkt habe ich bereits einiges gesagt, kann aber gar nicht zu häufig betonen, wie wichtig es ist, ein breites und belastbares Netzwerk zu haben.

Was würden Sie jungen Frauen empfehlen, die noch ganz am Anfang Ihrer Karriere stehen?

Ganz klar, diese drei Punkte zu beherzigen – und insbesondere in den Aufbau eines eigenen Netzwerks zu investieren. Am Anfang sollte aber die Frage stehen: „wer bin ich und wofür stehe ich?“. Wer eine klare Antwort darauf hat, ist schon einen großen Schritt weiter. Es geht dabei um Authentizität und darum, sich selbst treu zu bleiben. Wer jeden Tag eine Rolle spielt oder sich im Job verbiegen muss, kann auf Dauer nicht erfolgreich sein. Und außerdem ein Appell an alle Frauen: Zweifelt nicht zu sehr an euch und euren Fähigkeiten! Manchmal muss man Dinge einfach machen anstatt lange darüber nachzudenken. Ich habe es selbst immer wieder erlebt: Man wächst mit seinen Aufgaben.

 

Frau Deschka, wir danken Ihnen für dieses ermutigende Interview und ihre spannenden Einschätzungen.

 

Das Interview führte: Dr. Nadja Tschirner, Geschäftsführerin der Cross Consult GbR