„In case of getting stuck – and I get stuck a lot – I learned to pause, to take a deep breath and to linger around for a while. Be it in business or at the mountain, after a while I see the next step” – Susanne Müller Zantop auf dem Weg zum höchsten Gipfel der Welt

 

 

Die erfolgreiche Unternehmerin Susanne Müller-Zantop baute mit 24 Jahren ihr erstes Unternehmen auf. Nach zwölf Jahren verkaufte sie das Technologieunternehmen an Gartner und wechselte zur Siemens AG. Nach Abschluss ihres MBAs an der Universität St. Gallen, gründete Susanne Müller-Zantop 2006 ihr aktuelles Unternehmen CEO Positions AG in Zürich. Ihre Schwerpunkte in der CEO-Beratung sind digitales Stakeholder Management, strategische Kommunikation und High-Tech Inhalte. Susanne Müller-Zantop schreibt regelmäßig auf ihrem Blog CEO Positions, ist Kolumnistin bei „DIE WELT“ und der „Huffington Post“ und gibt Vorträge zu Technologie-, Kommunikations- und Wirtschaftsthemen.
Am 17. Mai 2018 erreichte Susanne Müller-Zantop im Alter von 61 Jahren den Gipfel des Mount Everest. In ihrem Gastbeitrag erzählt sie von ihrer Karriere als Bergsteigerin, reflektiert über Ziele und berichtet von ihren Lessons Learned.

 

 

Meine zweite Karriere als Bergsteigerin (neben dem Job als Unternehmerin) schien ein jähes Ende zu nehmen, als ich Ende 2012 von einem Bergführer zurück ins Basecamp geschickt wurde – wegen zu schlechter Performance. Er traute mir nicht zu, die letzten 400 Höhenmeter auf den Aconcagua zu klettern, der auf der Grenze zwischen Argentinien und Chile liegt. Es war sechs Uhr morgens, auf 6’500 Meter Höhe, die Sonne war soeben aufgegangen und beleuchtete ein wunderschönes Farbenmeer am Himmel, tiefblau, hellblau, dazwischen orangefarbene zarte Streifen. Ich hatte auf seine Frage, wie es mir gehe, geantwortet: «Ach, so halt», – und mit den Schultern gezuckt. Das war für ihn das Signal, mich zurückzuschicken! Ich war so geschockt, diese schöne Perspektive aufgeben zu müssen und nicht auf den Gipfel zu dürfen dass ich sofort umkehrte, ohne sein Urteil infrage zu stellen.

 

Anderthalb Jahre später probierte ich es wieder. Diesmal stand ich noch bei 6’000 Meter, als tatsächlich die gesamte Gruppe zurückkehren musste! Das Wetterfenster schloss sich, Gefahr war im Anzug, wir waren genau einen Tag zu spät. Wieder waren vier Wochen Ferien und mein Erspartes dahin, schrecklich. Doch diesmal war ich viel fitter gewesen und hatte noch mehr vom Expeditions-Business verstanden.

 

Als ich durch eine Kette von Zufällen zwei Jahre später die Chance bekam, einen Achttausender zu besteigen, dachte ich überhaupt nicht daran, eine Gipfelchance zu haben. Doch diesmal stimmte alles: Gruppe, Wetter, Leitung, Fitness, Können. Am 30. September 2016 stand ich auf dem Gipfel des Cho Oyu, mit 8’202 Metern dem sechshöchsten Berg der Welt.

 

In diesen Jahren beschäftigte ich mich viel mit der Frage, wie man sich die richtigen Ziele setzt. Sind sie zu hoch, frustriert man sich und scheitert ständig. Sind sie zu niedrig, wird man immer schwächer und depressiver. Ist die Gruppe viel besser als man selbst, sinkt die eigene Leistung. Aber sie sinkt auch, wenn die Gruppe insgesamt schlechter ist als man selbst. Visualisiert man sich selbst auf dem Gipfel, wie es manche Protagonisten des positiven Denkens empfehlen, führt dies in vielen Fällen dazu, den Gipfel eben NICHT zu erreichen. Studien belegen, dass positives Denken hier sogar schaden kann.

 

Ich recherchierte und fand die These, dass Männer und Frauen tendenziell unterschiedliche Formen des Support benötigen, um ein hochgestecktes Ziel zu erreichen. Vielen Frauen ist es zum Beispiel sehr wichtig, dass Trainer_innen ihnen positive Bestätigung geben. Indem sie sagen «Ich traue Dir das Höchstziel zu», trauen sich viele Frauen dieses Ziel tatsächlich eher zu und die Wahrscheinlichkeit es zu erreichen, steigt deutlich an. Bei Männern ist das ‘externe Zutrauen’ tendenziell weniger erforderlich.

 

Als mich daher ein sehr erfahrener Everest-Expeditionsleiter ansprach und einlud, an einer Everest-Expedition teilzunehmen, sagte ich spontan ‘ja’. Ich hatte mich schon viele Jahre mit dem Berg befasst, auch eine Nachdiplomarbeit für den Executive MBA über die Kommunikation am Everest geschrieben. Aber nie wäre ich von allein auf die Idee gekommen, mich für eine Expedition dorthin zu bewerben.

 

Ein Jahr später, das heisst nach 365-Trainings- und Vorbereitungstagen, sass ich im Flieger nach Kathmandu. Bis zwei Tage vorher hatte ich nicht daran geglaubt, so weit zu kommen. Die extrem teure Finanzierung, die achtwöchige Abwesenheit, der Tod meiner Mutter ein paar Wochen vorher, die Ängste meiner Familie, die schwierige Situation als Unternehmerin, alles kam zusammen. Doch sechs Wochen danach stiegen wir eines Nachts um drei Uhr vom Everest Basecamp aus perfekt akklimatisiert in die letzte von vier aufregenden Kletterpartien in den furchteinflössenden Eisgletscher ein, liefen am folgenden Tag durch das endlos lange Tal des Schweigens, stiegen an der Lhotse-Wand hoch bis ins sogenannte Camp 4 auf 8’000 Meter, wo wir einen Ruhetag bekamen. Ruhetag bedeutete, ab hier dann mit Sauerstoffflasche vor dem Gesicht vor sich hinzudämmern und gelegentlich heisses Wasser für eine Tütensuppe zu bekommen. Hier sagte ich zu meinen Zeltgenossen: «Für mich ist alles über 8’202 Meter schon ein toller Erfolg, denn damit habe ich meinen Gipfelsieg am Cho Oyu bestätigt.»

 

Doch es kam noch besser. Abends um halb zehn startete ich mit meinem Gipfelsherpa vom Camp 4 über die berühmten Eckpunkte des Gipfelanstiegs, den sogenannten «Balkon», den «Südgipfel», den «Hillary Step» zum 8’848 Meter hoch gelegenen Dach der Welt. Dort stand ich um 8.30 Uhr in der Früh, ich hatte exakt zehn Stunden gebraucht und benötigte weitere fünf für den Abstieg. Das sind perfekte Zeitspannen für einen sparsamen Gebrauch des Flaschensauerstoffes und garantiert eine sichere und gesunde Rückkehr.

 

Es dauerte noch einmal zwei Tage zurück ins Basecamp und weitere drei Tage nach Kathmandu, wo ich mich ein paar Tage erholte und begann, das verlorene Gewicht wiederzugewinnen, wie auch die Verdauungsstörungen und den Husten loszuwerden, der einen in der Todeszone erwischt. Freunde fragen mich jetzt, ob ich mit dem Bergsteigen aufhören würde, nachdem ich ‘ganz oben’ war. Ich kann nur sagen, dass ich meine gesamte Ausrüstung gewaschen, sortiert und so in den Keller gepackt habe, dass ich sie jederzeit wieder herausholen kann. Ich glaube, das macht man nicht, wenn man ans Aufhören denkt.

 

Was habe ich gelernt?

  1. Wenn Du an einem Ziel scheiterst, suche als nächstes ein höheres Ziel. Schaue höher, nicht tiefer. Es kann sein, dass es einfach nicht das richtige Ziel war.
  2. Das richtige Ziel erkennst Du daran, dass es Dich unglaublich anzieht. Es geht um den «Pull», die Bergsteiger sagen «Der Berg ruft». Wenn Du Dir ein Ziel setzt und halbherzig darangehst, bei den Vorbereitungen lustlos bist, dann ist das Ziel falsch. Die Vorbereitungen dürfen zwar Angst machen, aber dürfen keine Qual sein.
  3. Schau, dass es wirklich Dein eigenes Ziel ist. Typischerweise erkennst Du es daran, dass es auf den Widerstand Deiner Umgebung trifft. Ein Ziel, mit dem alle einverstanden sind, ist nicht Dein Ziel. Du machst es für jemand anderen (unbewusst macht man oft als Erwachsener noch etwas für Vater oder Mutter).
  4. Sage Deinem Expeditionsleiter bzw. Deiner Chefin, Partner oder Trainerin, dass er bitte ausdrücken möge, wenn er Dir zutraut, Dein hochgestecktes Ziel zu erreichen.
  5. Wenn Du kurz vor dem Ziel zurückgewiesen wirst, dann warte erst einmal ab und kehre nicht gleich um. Sage, es geht Dir bestens! Es gibt immer 31 Wege zum Gipfel und die sieht man erst bei genauem Hingucken.
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      Susanne Müller-Zantop