Stereotype vermeiden, um zielgerichtet Fachkräfte zu erreichen – Gerade im Feld des Recruitings stehen Unternehmen und Bewerberinnen immer wieder vor Situationen, die von Missverständnissen und Unsicherheit geprägt sind. Aus der Perspektive der Bewerberinnen stellt sich oft die Frage „Bin ich wirklich gemeint?“ — aus der Perspektive der Unternehmen „Warum bewerben sich eigentlich keine Frauen auf unsere Ausschreibungen?“ MFF-Initiatorin und Cross Consult-Geschäftsführerin Simone Schönfeld beschreibt in einem Gastbeitrag im Fachkräftemagazin der Wirtschaftsregion Augsburg, Ahochdrei, wie gendersensibles Recruiting richtig geht.

 

Im Balanceakt zwischen einer zielgruppenadäquaten Ansprache und dem Dilemma, nicht jede Zielgruppe individuell und spezifisch ansprechen zu können, gilt es trotzdem, stereotype Zuschreibungen zu vermeiden und mit einer Portion Sensibilität für die eigene Kommunikation zu agieren. Ansonsten kann Kommunikation – insbesondere zwischen den Geschlechtern — ganz schnell nach hinten losgehen, wie folgendes Beispiel der US-amerikanischen Autorin und Feministin Rebecca Solnit zeigt. In Ihrem Buch „Wenn Männer mir die Welt erklären“ schildert sie eine exemplarische Schlüsselsituation. Während einer Party kommt sie ins Gespräch mit dem Gastgeber, den sie zum ersten Mal trifft und der ihr ein Buch über den Fotografen Eadweard Muybridge ans Herz legt. Ein Buch übrigens, das sie selbst geschrieben hat. „Er hatte mir gegenüber einen extrem herablassenden Ton“, erinnert sich Solnit in einem Interview. Der Gastgeber sprach mit der ihm ebenfalls nicht bekannten Autorin wie mit einem Mädchen. Erst als sie erklärte, dass sie die Autorin des Buches sei, hielt er inne. Geschämt, so erzählt Solnit, habe er sich nicht: „Es hätte ihm peinlich sein sollen. (…) Er hielt einen Moment inne, er war irritiert.“ Sie möge solche Situationen, erklärt sie im Interview weiter: „Oft ist Diskriminierung ja subtil, schwer zu begreifen und zu beschreiben. Aber wenn Ihnen jemand Ihr eigenes Buch erklärt, ist die Situation vollkommen klar.“

 

Das zugehörige Phänomen wird „Mansplaining“ genannt und beschreibt, wenn Männer Frauen die Welt erklären. Der Begriff ist aus den englischen Worten „man“ und „explaining“ (Englisch für erklären) zusammengesetzt und beschreibt eine Erfahrung, mit der sich Frauen oft konfrontiert sehen und die sie oft gar nicht mehr bewusst wahrnehmen: In Werbespots erklären Klempner und andere Handwerker den Frauen Geräte wie Waschmaschinen, die sie selbst oft versierter bedienen als Männer. Bankberater werden auch bei Akademikerinnen gerne schulmeisterlich, wenn es um Kapitalanlagen oder Darlehensverträge geht. In der Autowerkstatt traut Mann den Frauen meist wenig Durchblick in Sachen Motor und Reparatur zu. Diese Art der unbewussten Diskriminierung kann auch im beruflichen Umfeld stattfinden.

 

Das oben beschriebene Gespräch macht deutlich: Kommunikation trifft oder auch nicht. Das gilt für Gespräche ebenso wie für Briefe oder Anzeigen. Kommunikation geht daneben, wenn der Sender oder Sprechende nicht auf sein Gegenüber eingeht oder auf Bedürfnisse herablassend reagiert. In der Regel geschieht dies unbedacht und unbewusst, häufig geprägt durch Erfahrungen oder Gewohnheiten, die nicht reflektiert wurden. Natürlich treten nicht alle Männer gegenüber Frauen so auf, Rebecca Solnit beschreibt eine prägnante Situation. Mansplaining ist nur ein Beispiel dafür, dass Frauen oft unpassend angesprochen oder sprachlich ausgeschlossen werden, gerade im Berufsalltag. Dies passiert im persönlichen Gespräch zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden, aber auch in der Kommunikation mit Bewerberinnen, Kundinnen, Geschäftspartnerinnen. Das muss nicht gleich zu Konflikten führen, Frauen nehmen das im Alltag hin, weil männliche Formen in der Sprache üblich und gelernt sind und nur selten hinterfragt werden. Und sie merken oft nicht, wenn sie falsch oder schlecht adressiert werden. Bei ihnen bleibt nur manchmal ein Gefühl von Unstimmigkeit zurück, das sie in Distanz zum Sprecher oder zum Absender einer Anzeige bringt. Insbesondere in Bewerbungsprozessen bleibt dann bei allen Beteiligten Unverständnis zurück. Bin ich wirklich gemeint? Bin ich wirklich mit dieser Anzeige angesprochen? Oder will das Unternehmen nicht doch lieber den klassischen Bewerber?

 

Um den Frauenanteil im Unternehmen und in Führungspositionen zu erhöhen, ist daher eine genderbewusste Ansprache in allen Informations- und Kommunikationskanälen notwendig. Mitarbeiterinnen sollten erleben, dass ihre Ideen gefragt sind. Beim Recruiting kommt der Personalabteilung eine besondere Aufgabe in der genderbewussten Kommunikation zu. Als eine von wenigen Abteilungen wirkt sie nach außen und nach innen. An dieser Schnittstelle wächst der Aufwand, ein Unternehmen als diversen Arbeitgeber darzustellen und intern darauf hinzuwirken, dass die Bedürfnisse von Mitarbeiterinnen wahrgenommen werden.

 

Dabei sind die Themen, die vermeintlich nur für Frauen relevant waren, längst auch relevante Kriterien für männliche Bewerber. Wie sieht es mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf aus? Gibt es im Unternehmen eine Kultur, die es mir als Vater ermöglicht, Elternzeit zu nehmen und zeitliche Verantwortung für meine Familie zu übernehmen. Die Kommunikation der Unternehmen muss daher treffen, wenn es um das Anwerben von Mitarbeitenden geht: „Das Thema Zielgruppenorientierung (Definition und Identifikation neuer und relevanter Zielgruppen, zielgruppenspezifische Kandidatenansprache) ist nach Ansicht der Top-1.000-Unternehmen aus Deutschland eine wichtige interne Herausforderung für die Personalbeschaffung“, stellt die Studie „Recruitingtrends 2015“ des Centre of Human Resources Information Systems (CHRIS) in Bamberg fest.

 

Daher gilt es hier Sensibilität für die gewählte Sprache, die verwendeten Bilder und den gewählten Kontext zu entwickeln. Mehr zu einer zielgruppendifferenzierten Ansprache finden Sie in der Veröffentlichung „Clever aus der Abseitsfalle. Wie Unternehmen den Wandel zu mehr Frauen in Führung gestalten, 2017, in dem Praxisbeispiele von sechs Unternehmen präsentiert werden und u. a. das Thema gendersensibles Recruiting beleuchtet wird. Die Kommunikation zwischen Frauen und Männern ist im Übrigen auch Thema im Cross-Mentoring Programm von Cross Consult, das jährlich den teilnehmenden Führungskräften ein Gender-Awareness Training anbietet, um auch Führungskräfte beiderlei Geschlechts für die eigenen kommunikativen Gewohnheiten zu sensibilisieren. Cross-Mentoring führt Cross Consult in München, Augsburg, Frankfurt und Münster durch. Es unterstützt junge Führungskräfte in ihrer beruflichen und persönlichen Entwicklung. Die Besonderheit des Programms liegt in einer unternehmensübergreifenden Mentoring-Partnerschaft einer jungen weiblichen oder männlichen Führungskraft zum Manager oder zur Managerin eines anderen Unternehmens, die sich als externe Mentoren zur Verfügung stellen. Dies ermöglicht einen offenen und hierarchiefreien Erfahrungsaustausch.

 

Autorin: Simone Schönfeld

(Der Artikel ist auch als Gastbeitrag im Ahochdrei-Magazin erschienen)

 

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