Es sind gerade Schulferien in Bayern als Ines Lindner für ein Telefoninterview mit dem Memorandum für Frauen in Führung zur Verfügung steht. Deshalb hat die Betriebswirtin ihre Tochter mit in die Arbeit gebracht – ein Angebot ihres Arbeitgebers Stadtwerke München (SWM). Während die 11-Jährige im Nebenbüro mit anderen Kindern liest, malt und bastelt, spricht Ines Lindner mit großer Leidenschaft über ihr „zweites Kind“: das Frauennetzwerk Expertisen der SWM. Die 44-Jährige ist Mitbegründerin und Teil des fünfköpfigen Kernteams. Sie selbst bezeichnet ihr Engagement nur als „Hobby“, denn im Berufsalltag hat ihre Teamleiter-Rolle klare Priorität – und zu Hause natürlich die Familie. Aus ihrem Hobby ist innerhalb von drei Jahren eine intern wie extern etablierte Plattform geworden, die sich jetzt im Dezember für alle Mitarbeiterinnen der SWM geöffnet hat. „Rund 70 Frauen aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen waren bei der ersten großen Veranstaltung dabei – ein voller Erfolg“, berichtet Ines Lindner in einem zweiten Telefonat stolz.

 

Das SWM-Frauennetzwerk Expertisen heißt neuerdings alle Frauen bei den Stadtwerken willkommen. Was haben die Mitarbeiterinnen zu erwarten?

Wir veranstalten regelmäßig Frühstück- und Lunchtermine sowie kleinere Treffen, bei denen unsere Mitglieder Aufgaben und Lösungen vorstellen. Durch die breitgefächerten Themengebiete der SWM (Verkehr, Bäder, Telekommunikation, Gas, Strom, Wasser, Labor usw.) ergibt sich ein sehr abwechslungsreiches Programm. Zudem organisieren wir einmal im Quartal eine große Vortragsveranstaltung mit Topreferenten. Sie setzen Impulse zu Frauen- und Zukunftsthemen über die wir dann im Anschluss diskutieren können. Wir verstehen uns nicht als Kaffeeklatsch-Runde, sondern bieten gute Vorträge mit Mehrwert, die Themen kontrovers beleuchten. Unser Ziel ist, dass jede Teilnehmerin neuen Input mit an den Arbeitsplatz oder nach Hause nehmen kann.

 

Bisher waren wir in kleinerer Runde unterwegs und haben uns an die weiblichen Führungskräfte gerichtet. Die Öffnung für alle Mitarbeiterinnen wird neue organisatorische Herausforderungen aber auch große Chancen mit sich bringen. Wir werden Anfang 2018 Fokus-Themen erarbeiten, die wir dann im Laufe des Jahres sukzessive angehen.

 

Welcher Mehrwert entsteht durch die Öffnung?

Ich denke, dass gerade Frauen, die noch nicht in Führungspositionen angekommen sind, aber sich beruflich und fachlich weiterentwickeln möchten, verstärkt von unserem Netzwerk profitieren können. Frauen brauchen und wünschen sich Vorbilder – andere Frauen, die Herausforderungen bereits gemeistert haben und ihre Erfahrungen weitergeben möchten. Ich hoffe, wir können mit unseren Geschichten für viele Frauen in diese Vorbildrolle schlüpfen und sie motivieren, neue Wege zu gehen, innovativ zu denken und sich mehr zuzutrauen.

 

Warum braucht es überhaupt ein Frauennetzwerk?

Der wirtschaftliche und gesellschaftliche Mehrwert einer höheren Chancengleichheit in der Arbeitswelt und von gemischten Führungsteams ist längst bewiesen. Die SWM wollen sich kulturell weiterentwickeln, flexibler werden, übergreifender arbeiten, um noch mehr auf Kundenbedürfnisse einzugehen und natürlich um Geschäftspotentiale auszuschöpfen.

Frauen besetzen nur 16% der Führungspositionen – wobei man dazu sagen muss, dass der Anteil von Frauen im gesamten Unternehmen mit 21% relativ gering ist. Viele Maßnahmen, die auf einen Ausgleich abzielen, bleiben gute Intensionen und greifen nicht weit genug. Hier möchten wir ansetzen: Frauen, die wirklich aktiv Themen und Kultur in unserem Haus gestalten wollen, zusammen zu bringen und gemeinsam den Einfluss darauf erhöhen, wie sich die SWM als Unternehmen weiterentwickelt. Das bezieht sich z.B. auf die Vereinbarkeitsfrage von Familie und Beruf, oder auf den Arbeitsstil von Frauen, der sich oftmals von dem der Männer unterscheidet. Allgemein möchten wir alle Ebenen für unterschiedliche Herangehensweisen und Bedürfnisse sensibilisieren.

 

Wie schätzen Sie generell die Networking-Qualitäten von Frauen ein?

Bei der Zusammenarbeit und der gegenseitigen Unterstützung von Frauen ist noch Luft nach oben. Seilschaften funktionieren teilweise, aber oftmals unterstützen wir uns weniger als wir könnten. Männer sehen den Erfolg anderer oft sportlicher, nehmen Wettbewerb anders wahr. Gönnen wir Frauen uns das wirklich, wenn tatsächlich eine von uns ganz oben landet?

Auf der anderen Seite lerne ich durch das Netzwerk so viele Frauen kennen, die sich gegenseitig befördern, so dass ich das auch gar nicht verallgemeinern möchte.

 

Fällt Ihnen ein Beispiel ein, in dem das Frauennetzwerk bereits etwas Positives bewirkt hat?

Ich stelle an mir selbst fest, dass mich die Reflexion mit anderen und die Energie, die ich daraus ziehe, als Führungskraft enorm vorangebracht hat. Im Zuge von Restrukturierungsmaßnahmen wurde mir für Dezember ein nächster Karriereschritt angeboten, den ich mit einem guten Gefühl angenommen habe. Ich weiß nicht, ob es mir auch ohne die vielen Gespräche und den Rückhalt durch andere Führungsfrauen so ergangen wäre.

Im Unternehmen trägt unsere Arbeit zum kulturellen Wandel und zur Schärfung der Sicht auf die Themen Frauenförderung, Diversität und Führungsstil bei.

 

Wurden Sie beim Aufbau Ihres Netzwerks vom Unternehmen unterstützt?

Sagen wir es so: Es ist unser Hobby und der Job hat Vorrang. Ich kann nicht zu meinem Chef sagen: Diese Woche habe ich zwei Stunden fürs Frauennetzwerk gearbeitet, deswegen konnte ich meine Aufgaben nicht erledigen. Wir bekommen also keinen Zeitausgleich für unser Engagement. Aber wir haben uns mit der Geschäftsführung abgestimmt: Das Unternehmen stellt uns ein Budget zur Verfügung und akzeptiert uns als offizielles Frauennetzwerk der SWM. Dass wir uns mittlerweile auch extern mit großen Frauennetzwerken Münchner Firmen wie Intel, BMW, Accenture vernetzen, hat unser Ansehen intern nochmal gesteigert.

 

Wie sieht das externe Networking aus?

Wir treffen uns ca. alle 6 Wochen in einem anderen Unternehmen mit einer eigenen Agenda – für unser junges Frauennetzwerk ein wertvoller Erfahrungstausch. Manche dieser Netzwerke existieren schon seit 15 Jahren, haben verschiedenste Phasen erlebt und wissen, welche Themen immer wieder auf die Agenda gezogen werden müssen, um im Unternehmen etwas zu bewirken.

 

Welcher persönliche Antrieb steckte hinter Ihrem Engagement?

Vor meiner Zeit bei den Stadtwerken war ich im Mittelstand tätig. Als ich nach acht Monaten Elternzeit in den Job zurückkehrte, wurde mir mitgeteilt, dass es meine Aufgaben aufgrund mangelnder Arbeit nicht mehr gibt. Interessanterweise saßen die männlichen Kollegen freitags bis 19 Uhr im Büro, weil sie viel zu tun hatten. Eine Halbtags-Unterstützung hätte ihnen sicher nicht geschadet. Da fühlt man sich nicht mehr gut aufgehoben.

 

Es ist zum einen diese persönliche Erfahrung, durch die ich relevante Stellschrauben erkannt und gesellschaftliche Entwicklungen reflektiert habe. Zum anderen auch mein Interesse für Innovationen. In jedem Vortrag über die Zukunft der digitalen Arbeitswelt oder Transformation, den ich gehört habe, geht es wenig um Technik, sondern mehr um Kultur und darum, wie wir zusammenarbeiten wollen und wie wir dafür die modernen Instrumente nutzen können. Das sind Fragen, die auf uns alle Niederschlag finden und in die Frauenförderung einfließen.

 

Zudem sind die SWM ein lebensnotweniger Dienstleister unserer Stadt, der am Puls der Zeit bleiben will. Etwas dazu beitragen zu können, macht mir Freude.

 

Sie scheinen eine große Leidenschaft für Fortschritt zu haben…

Das stimmt, Leidenschaft haben wir alle im Kernteam. Das gibt uns Energie. Der zusätzliche Arbeitsaufwand ist natürlich auch kräftezerrend, aber die Energie kommt durch den Austausch mit interessanten Frauen wieder zurück. Das macht wirklich Spaß.

 

Interview: Julia Schmid

 

Einen Beitrag über die Bedeutung von Netzwerken für weibliche Karriereverläufe findet ihr hier:

Welche Bedeutung haben Netzwerke?

 

Und zu einem weiteren SMW-Interview – mit einem Topsharing-Tandem – geht’s hier:

Topsharing par excellence bei den SWM