Digitalisierung der aktuelle Schlüsselbegriff in deutschen Unternehmen. Alle sind davon betroffen. Alle müssen sich damit befassen. Alle sehen darin neue Chancen und zugleich große Herausforderungen. Bei einem der großen internationalen Player der Luftfahrt Triebwerkshersteller MTU Aero Engines stehen ebenfalls alle Zeichen auf Digitalisierung. Was sich in der Arbeitswelt 4.0 für die Mitarbeiter verändert, welche Talente dafür gefragt sind und wie neue Chancen für Frauen entstehen, erzählt MTU-Personalleiter Hans-Peter Kleitsch im MFF-Interview.

 

Hans-Peter Kleitsch, Personalleiter MTU
Hans-Peter Kleitsch, Personalleiter bei MTU Aero Engines

Wie macht sich die Digitalisierung bei der MTU bemerkbar?
Sowohl in die Büros als auch in die Fertigungshallen ziehen in hohem Tempo stetig neue innovative Tools und Möglichkeiten der digitalen Datenverarbeitung ein. Mittlerweile hat bspw. jedes Triebwerk einen elektronischen Lebenslauf – genau wie Sie. Dieser wiederum macht eine sehr flexible und schnelle Wartung möglich, für die wir unsere Mitarbeiter an unseren Standorten auf der ganzen Welt vernetzen und koordinieren müssen. Für die Wartung nutzen wir dann wiederum Tools wie bspw. „Boroscoping“ – das heißt, wir gehen mit einem Spähauge ins Triebwerk und zoomen die kleinen Einzelteile auf dem IPad heran. Oder wir simulieren mithilfe von Computeranimationen bestimmte Arbeitsvorgänge. Wir haben gerade ein neues Tooling im Test, da können sie mit einem Barcode ein Triebwerk durch Animation in Einzelteile zerlegen. [Mehr zum „Digital Transformation Program“ der MTU]

 

 

Wird die Arbeit in Ihren Fertigungshallen dann nur noch von Robotern erledigt oder legen ihre Mitarbeiter auch noch selbst Hand an?
Zumindest hoffe ich das! Scherz, wir haben nach wie vor viel Bedarf an manuellen Tätigkeiten, das ist auch ganz wichtig! Beim Zerlegen eines Triebwerks werden Sie Menschen nie ersetzen können!

 

Aber wenn wir mit Gästen durch unsere Fertigungshallen durchgehen, hören wir schon oft: „Hier wird ja gar nicht gearbeitet!“ Weil man einen Großteil der Arbeit nicht mehr sieht. Bei uns ist es nicht wuselig, es rennen keine Mitarbeiter herum und schleppen schwere Kisten. Wir haben viele Arbeitsplätze, die mit IT-Tools aufgerüstet sind.

 

Werden dadurch Leute abgebaut: Nein! Wir haben nach wie vor fast 5.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, genauso wie vor 10 Jahren. Wir setzen sie nur anders ein. Und wenn wir einstellen, stellen wir zunehmend mit anderen Profilen ein als vor zehn Jahren.

 

Was geschieht mit Ihren langjährigen, älteren Mitarbeitern? Haben die nicht Angst davor, auf der Strecke zu bleiben?
Angst ist – glaube ich – der falsche Ausdruck. Ja, die schnellen Entwicklungsphasen sind ein Thema. Da müssen wir immer hinterher sein und ausreichend Schulungen anbieten. Aber wir können das auch steuern: Diejenigen, die sich mit schnellen technologischen Innovationen schwerer tun, setzen wir in Bereichen ein, die mit weniger schnellen Veränderungen auskommen.

 

Und diejenigen, die sehr starkes Interesse haben, gehen an die Arbeitsplätze mit vielen Veränderungsraten pro Jahr.

 

Gerhard Hauptmann „Die Weber“ – hat ein Webstuhl die Arbeitsplätze ersetzt? Nein. Eine Grundangst ist natürlich trotzdem vorhanden. Die Arbeitsplätze werden sich verändern, aber sie werden den Menschen nicht ersetzen. Nur der Mensch hat die Eigenheit, auch manchmal paradox zu denken, was Maschinen nicht können.

 

Wie digital sind Sie unterwegs?
Ich bin privat noch deutlich digitaler unterwegs als beruflich. Weil wir bei MTU deutlich reglementierter sind und auch auf hohe Datenschutzregeln achten müssen. Ich haushalte allerdings mit meinen privaten Daten sehr stark und gebe nicht alles auf Facebook preis. Meine Frau ist in den Sozialen Medien aktiver.

 

Wie digital und mobil sind Ihre Mitarbeiter unterwegs?

Jeder erhält den digitalen Part, den er gerne haben möchte. Theoretisch könnte jeder einen Telearbeitsplatz beanspruchen oder Mobilwork machen. Das sind zwei verschiedene Sachen: Telearbeitsplatz ist immer zu Hause, Homeoffice, fester PC mit Standleitung. Und mobiles Arbeiten heißt, ich kann mit mobilen Endgeräten von überall aus arbeiten.

 

In der Praxis hängt das aber sehr stark von den Vorgesetzten ab. Wir als Unternehmen setzen keine Restriktionen. Ich habe als Führungskraft sehr gute Erfahrungen mit Mitarbeitern gemacht, die sowohl Telearbeit als auch Mobilwork in Anspruch nehmen. Das ist eine andere Form des Arbeitens, von der ich glaube, dass wir mehr Nutzen als Schaden haben. Für mich zählt das Ergebnis. Wie das zu Stande kommt, ist mir egal.

 

Das heißt, Sie überlassen Ihren Mitarbeitern völlig frei, wann und wie sie die Arbeit erledigen?
Ja! Ich bitte darum, Mails mit mehreren Empfängern nicht unbedingt am Sonntag zu verschicken, damit Externe nicht denken, meine Mitarbeiter müssen sieben Tage die Woche arbeiten. Oder um 23 Uhr. Weil ein anderer weiß ja nicht, dass sich die Mitarbeiterin dafür die Freiheit genommen hat, Mittwoch mittags zu gehen und die Sonne zu genießen…

 

Wie sollte Ihrer Meinung nach die Führungskraft der Zukunft aufgestellt sein?
Wir brauchen Führungskräfte mit mehr Mut und Zuversicht! Mut, den Mitarbeitern Freiheiten zu geben und Zuversicht, dass sie verantwortungsvoll damit umgehen. Weil jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin erstmal das Interesse hat, etwas gut zu machen. Subsidiarität ist für uns ein weiterer wichtiger Punkt.

 

Und die Führungskraft muss in Zeiten von Tele- und Mobilwork bereit  ein, sich auf entsprechende Kommunikationstools einzulassen. Wir haben zum Beispiel an vielen PCs Webcams. Manche Teams schalten die nie aus. Da sitzt der eine Counterpart in den USA und der andere hier. Und die kommunizieren den ganzen Tag als würden sie sich im Büro gegenübersitzen. Das ist natürlich extrem. Sowas mache ich nicht. Aber ich habe auch Kontakte, die ich nur über Webcams oder Kollaborationstools pflege.

 

Welche Talente bei Mitarbeitern sind da gefragt?
Leute, die sich selbst organisieren und priorisieren können, die Arbeitsergebnisse gut strukturieren und ihre Daten und Ergebnisse gerne mit anderen teilen. Wir arbeiten inzwischen sehr viel mit agilen Arbeitsweisen – das bedeutet für uns eigenverantwortliche Prototypenentwicklung und Arbeit in crossfunktionalen Teams. Wenn früher eine oder zwei Personen bei einem Projekt mitgedacht haben, sind es jetzt zehn – an verschiedenen Standorten. Und diese zehn sind wiederum in andere Projekte eingebunden. Gerade von Neueinsteigern wünschen wir uns eine Offenheit für diese Strukturen. Wir suchen nach Leuten, die Lust haben, sich einzubringen und sagen: Das ist unser Baby und am Ende steht ein Produkt.

 

Wie identifizieren Sie solche Leute?
Mit Agile Work ist das ganz einfach. Ziehen Sie die in ein Projekt mit rein, lassen Sie sie eine Sequenz beim „Scrum“ mitlaufen. Dann merken Sie sofort, wie aufgeschlossen die sind. Sehr viel auch über Gespräche und „Was wäre wenn…“-Fragen. Gerade Fragestellungen, die nicht pauschal zu beantworten sind, geben viel über Kreativität preis. Wir wollen Leute haben, die ein bisschen Phantasie und Visionen mitbringen. Und die auch ein bisschen eckig sind. Die haben den Vorteil, dass Sie Bewegung ins System bringen und hinterfragen. Will ich nur Kritiker haben? Nein, es muss schon auch eine Lösungsidee dahinterstecken. Aber in aller Regel sind diejenigen, die ein Thema von verschiedenen Seiten beleuchten, eher die besseren Leute.

 

Trifft das auch auf Frauen zu?
Ja klar! Frauen können neue Perspektiven im männlich dominierten Maschinenbaubereich einnehmen: Sie kommen auf Fragestellungen, die sich Männer nicht stellen. Die aber sehr wichtig sind. Gerade diese Ausgewogenheit, das Beleuchten eines Themas von verschiedenen Seiten, bringt den Erfolg.

 

Und ich sage ganz offen: Da sind wir noch nicht gut genug, weil wir mit 15% Frauenanteil immer noch zu wenige haben. Auch in Führungspositionen. Wir konnten in diesem Jahr vier Positionen der leitenden Angestellten [in der Hierarchie zwei Ebenen unter dem Vorstand] mit Frauen besetzen. Wäre schön, wenn das jedes Jahr klappen würde.

 

Die Digitalisierung und die flexibleren Arbeitsstrukturen sollen bessere Chancen für Frauen mit Karriereambitionen mit sich bringen, weil sie Arbeit und Familie besser vereinbaren können…
Für Männer auch!
 

Ja, auch für Männer. Nehmen das schon welche bei Ihnen in Anspruch?
Ja, es werden langsam mehr, aber es könnte schneller gehen. In Elternzeit gehen in erster Linie immer noch Frauen.

 

Aber ja, Sie haben Recht, vor allem für Frauen mit Familienverantwortung verringert der Freiheitsgrad bei der Arbeitszeitgestaltung die Nachteile gegenüber Männern. Wir haben hier im HR zwei weibliche Führungskräfte, die sich einen Job teilen. Topsharing – das funktioniert sehr gut. Es bringt zwar einen größeren Koordinationsaufwand mit sich, aber der Mehrwert überwiegt: Zum einen haben die beiden immer einen Sparingspartner bei Führungsfragen. Zum anderen muss ich als Vorgesetzter auch ehrlich zugeben, dass ich mehr als die vertraglich geschuldeten 100% Arbeitsleistung bekomme. Und ich muss nie Ausfälle kompensieren.

 

Es ist nicht jede Führungsaufgabe teilbar. Aber viele. Das kam bisher nur nicht zustande, weil man noch nicht ernsthaft darüber nachgedacht hat. Ich glaube, da geht noch deutlich mehr als wir uns zutrauen.
 

Welche Maßnahmen setzen Sie konkret um, um mehr Frauen für die MTU zu gewinnen und zu fördern.
Wir haben einen umfangreichen Maßnahmenkatalog, der die unterschiedlichsten Altersgruppen und Hierarchiestufen abdeckt. Ein Fokus liegt ganz klar auf dem Thema Hochschulmarketing um junge Potentialträgerinnen von Anfang an im Unternehmen zu entwickeln und den Frauenanteil in der aktiven Belegschaft nachhaltig zu erhöhen. Zudem gibt es Standardmaßnahmen, wie den Girls`Day, Praktikaangebote oder die Summer University. Auch individuelle Weiterentwicklungsangebote, z.B. Mentoring-Programme, interne Führungskräfteschulungen und natürlich ein ausgereifter Talent-Management-Prozess sind implementiert. Hinzu kommen natürlich sehr gute Rahmenbedingungen, wie attraktive Konditionen, Gleitzeitmodelle, flexibles Arbeiten, oder Homeoffice.

 

Als MFF-Unternehmen haben Sie sich auch das Ziel gesetzt, die gesamte Unternehmenskultur und Unternehmensspitze in einen gendersensiblen Changeprozess mitzunehmen. Auch wenn er sich noch nicht so deutlich in den Zahlen niederschlägt – macht sich bereits ein Kulturwandel bemerkbar?
Wenn ich sieben Jahre zurückdenke: Da hieß es bei der Besetzung von Führungspositionen noch: „Wir sollen uns explizit auch Frauen anschauen? Schwierig, haben wir überhaupt welche?“ Diese Diskussion gibt’s heute nicht mehr. Ein Pool aus Frauen und Männern ist selbstverständlich. Da merkt man schon, dass sich etwas geändert hat.

 

Aber worin wir noch besser werden müssen, ist Begeisterung bei Frauen für unsere Arbeit zu schaffen. Wir sind noch zu typisch Ingenieursbetrieb: leise, vornehm, alles geprüft, sehr analytisch. Doch wir müssen zeigen, dass es Spaß macht, sich mit Technik zu beschäftigen. Diese Maschinen kann man erleben, kann man sehen, kann man fühlen. Nicht nur das rein verschulte in den Vordergrund stellen. Sondern Kreativität mit Entdeckergeist und Wissen verknüpfen – ich glaube, das können Frauen besonders gut und dafür möchten wir sie begeistern.
 

Sie haben im Moment 350 Stellen zu besetzen – eine gute Gelegenheit!

 

Interview: Julia Schmid

 

Mehr zum Digital Transformation Program der MTU: www.mtu.de/de/karriere/digital-transformation-program/

 

In diesem Beitag erzählt eine Führungsfrau der MTU, Dr. Inga Stoll, wie ihr Arbeitsalltag als Abteilungsleiterin aussieht und wie er sich mit zwei Kindern vereinbaren lässt:

Ein Arbeitstag von Inga Stoll, MTU Aero Engines

 

Und hier geht’s zu einem Interview mit dem Vorstandsvorsitzenden der Bayerischen Versorgungskammer, Daniel Just:

„Erst durch Individualität entsteht ein runder Mensch“ – Vorstandsgespräch mit Daniel Just, BVK